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Kreative Strategie im Informationskrieg –Über die Transformation der Werte

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von Ralf Pioch

„Bei Massenbombardements wird man immer jemanden treffen – das Erfolgskonzept hat sich nicht ohne Grund manifestiert. Doch ist es nicht viel sinnvoller, Informationen zu vermitteln, die auf offene Ohren treffen?“

Werte sind wie Schall und Rauch. Ein Hersteller von Bädern wird in einem islamistischen Land keine Duschkabine verkaufen, wenn sich auf seinem Plakat eine exotische Schöne unter der Dusche räkelt. Sex sells nicht überall. Und auch in Afghanistan werden die westlichen Invasoren mit einer Kommunikation der Gewalt das Land weder befrieden, noch die Menschen für eine westliche Lebensweise begeistern. Wer will sich schon einer Kultur zuwenden, die ihre Werte mit Gewalt durchsetzt?
Soziale Normen und konkrete Vorschriften für ein soziales Miteinander werden durch Werte bestimmt. Werte entstehen durch Sozialisation und stehen in ständiger Relation zur Umwelt. Werte sind instabil und aus einer Metasicht lediglich variable Situationsaufnahmen von Regelwerken und Normen. Im multilingualen, internationalen und interkulturellen Kontext gibt es keine stabile Schnittmenge übergreifender, kategorisch-imperativer Werte oder Maxime. Was der eine als gut empfindet, ist für einen anderen völlig unakzeptabel.
Werte können also in unterschiedlichsten Dimensionen betrachtet werden. Drei Wertedimensionen prägen kommunikative Prozesse: das ethisch-moralische Verhalten der Berufsstände, Inhalte der Kommunikation und Werthaltung beim Medieneinsatz. In jedem einzelnen Wertkontinuum trifft ein Kommunikator in jeder denkbaren Kommunikation Wertentscheidungen.
Wertentscheidungen werden von einer Vision abgeleitet. Die Vision ist das gewollte Wie der Zukunft – im Kleinen wie im Großen. Visionen sind konstruiert, lassen sich als stabile Ziele formulieren. Alltäglich geschieht dies oft ungesteuert und unbewusst. Auf professioneller Ebene lassen sich Ziele durch Strategien und Maßnahmen erreichen.

Das mediale Schlaraffenland

Man sollte meinen, dass kommunikative Fehltritte wie der Afghanistaneinsatz politisch begründete Ausnahmen sind, die nichts mit unserem Alltag zu tun haben. Wir sind ja sonst nicht so. Bei uns zählt das Argument mehr als rohe Gewalt. Wir haben die Keule aus der Hand gelegt, sind zivilisiert. Weit gefehlt: Es wird ein gnadenloser Kampf geführt – um das Kapital der Konsumenten mit den Waffen der Kommunikation. Man stelle sich einen zugegebenermaßen riesigen Tisch vor, an dem im Laufe eines Tages mehrere Millionen Menschen fast gleichzeitig auf einen Menschen einreden. Jeder möchte seine ungeteilte Aufmerksamkeit, jeder will irgendetwas verkaufen: verschiedene Waschmittel, Jeans, Kaugummis, Autos, Versicherungen, Brezeln, Zeitschriften und die CD der Top-Rockhits aus den 1980er-Jahren. Alle locken mit Werten: Ich mache Dich glücklich, berühmt, schön, beliebt, erfolgreich und reich. Und alle sind sie da: vom Straßenschläger bis zum Lobbyisten. Dabei auf Umgangsformen und Kampfstil zu achten, fällt vielen schwer. Das Gebrüll und Gerangel sind unvorstellbar. Da ist jedes Mittel recht – möglichst alle gleichzeitig –, um sich gegen das Geschrei der anderen durchzusetzen. Und dank technischer Innovationen erhalten wir derzeit immer neue Waffen, neues Kriegsspielzeug, das gleich mal ausprobiert werden muss. Kawumm! Es tobt der Informationskrieg, nur leider eben nicht an einem Tisch. Da könnte man ja einfach aufstehen und den Raum verlassen. Tür zu und Ruhe. Der Informationsmob verfolgt seine Opfer wie Bienen ihre Königin. Es wird aus allen Rohren scharf geschossen. Der Krieg wütet im Wohnzimmer, auf der Straße – einfach überall.

Die Jagd auf den Konsumenten

So ein Gehirn muss heute mehrere Millionen Botschaften täglich verarbeiten, selektieren und werten. Der einzig mögliche werbefreie Rückzugsraum ist der Briefkastenbunker, auf dem der Aufkleber „Bitte keine Werbung“ vor brutalen Übergriffen schützt. Das Pay-TV als Friedenszone verspricht zumindest teilweise Werbefreiheit. Rezipienten, Konsumenten, Zielpersonen schaffen es längst nicht mehr, bewusst und entsprechend des eigenen Anspruchs zu selektieren, die Filterung erfolgt chaotisch; Hauptsache, das Gehirn wird irgendwie geschützt. Leider sind Briefkästen in der Regel so klein, dass man sich da auch nicht wirklich hineinkauern und erholen kann – außerdem würde man sich den Platz mit fünf Möbelprospekten von fünf verschiedenen Möbelherstellern teilen müssen. Und das Leben ist kein Pay-TV. Die Waffen sind die Medien und die Geschosse Bilder, Worte, Töne und inzwischen auch Gerüche. Der Gebrauch dieser Waffen ist geradezu exzessiv, schonungslos und ohne jede Disziplin. Jede mediale Knarre, meist Schrotflinten mit enormer Streuung, die irgendwo herumfährt, wird sofort benutzt, sofern die Kunden bereit sind, die Munition zu bezahlen. Noch sind sie es. Die ganze Szenerie erinnert an Amokmörder, die ohne Sinn und Verstand, ohne Moral und Skrupel in die Menge ballern. „Amok“ deshalb, weil das Schlachtfeld nach unkontrolliertem Handeln aussieht, und „Mörder“, weil das Ganze eben doch geplant ist. Bis das Gehirn mit einem tiefen Seufzer nachgibt. Schließlich kann und konnte sich jede noch so miese Kampagne auf die Wirkung des medialen Bombardements verlassen. Mit den Wertentschei­dungen verhält es sich ebenso. Das ist so. So läuft das. Fast könnte einem der Konsument leid tun, fast. Aber wer jagen will, muss auch töten können. Und ein Jäger mit Skrupeln sollte die Flinte ins Korn werfen.

Den Feind zum Freund machen

Doch je stärker Kommunikatoren es krachen lassen, desto größer wird das Verarbeitungsleid der Zielpersonen. Auf dem Fundament einer immer vernetzteren Welt, einem immer einfacher werdenden Zugang zu Informationen und immer leichter zu handhabenden Alltagsmedien schöpft auch er neue Kraft und wird beginnen, sich zu wehren: „Bleibt mir bloß mit Eurem Müll vom Hals – ich will gefälligst selbst bestimmen, wann, in welcher Art und Weise und in welcher medialen Form ich welche Informationen bekomme!“
Nun: Bei Massenbombardements wird man immer jemanden treffen – das Erfolgskonzept hat sich nicht ohne Grund manifestiert. Doch ist es nicht viel sinnvoller, Informationen zu vermitteln, die auf offene Ohren treffen, als gegen andere Vermittler anzubrüllen und sich sicher sein zu können, im Empfänger trotz geteilter Aufmerksamkeit immer eine ablehnende Haltung zu verspüren? Vielleicht sollte man nicht auf die Gegenwehr warten, denn die Situation könnte ungeahnte Potenziale bergen. Hat man denn vergessen, dass der Kunde kein Feind ist? Die Möglichkeiten der Waffen scheinen jedoch zu verführerisch. Und nicht nur das: Der Konsument wird auch noch selbst zum Medienmacher, Kreativen und Regisseur seiner Medien- und Markenwelt, bewaffnet mit Handy und Laptop.
Ich plädiere dafür, den Feind zum Freund zu machen und neue strategische Optionen zu erschließen. Dazu gehört auch der Rezipient als Medium.
Auf den größeren Schlachtfeldern wurde längst aufgerüstet. Die technischen Voraussetzungen für neue Strategien stehen in Zukunft bereit. Das direkt mit dem Internet gekoppelte Fernsehen und mobile Multitalente bieten neue effektive Möglichkeiten der aktiven, interaktiven und attraktiven Kundenkommunikation.

Ethisch-moralisches Verhalten der Berufsstände

Es sind Kommunikationsprofis und Medien, die vierte Macht, die unser Wertebild nachhaltig bestimmen. Sie waren die Architekten der Geschichte, der Gegenwart und der Zukunft. Dies macht ein ethisches Bewusstsein auch in der Kommunikationsbranche erforderlich. Doch wie ist dem Herr zu werden, nachdem Werte so wandel- und instrumentalisierbar sind? Institutionalisierungen von Regelwerken über Verbände sind ab und zu vielleicht sogar ernst gemeinte Ansätze. Auch das Medienrecht wird uns in die moralischen Schranken weisen – oft mehr schlecht als recht, doch immerhin. Aber auf Ethik und Moral ist kein Verlass.

Inhalte der Kommunikation:
Werte als Mittel zum Zweck

In letzter Konsequenz geht es also nicht um Werte, sondern um Geld und darum, ob sich mit Werten Geld verdienen lässt. Werben heißt verkaufen – sonst nichts. Kommunikation soll ankommen, verstanden werden und im Idealfall etwas auslösen. Kommunikation muss zwingend sein. Werte sind da höchstens Mittel zum Zweck, Triebfedern zur Absatzförderung.
Die Herangehensweise der Kreativen ist im Idealfall vorerst wertfrei. Kreationen sollen ja nicht das Wertebild des Kreativen spiegeln, sondern Markeninhalte und Markenwerte, die Resonanz erzeugen. Die Kreation dient der Transformation des Markenwerts in die Vorstellungswelt der Konsumenten mit den Mitteln und Möglichkeiten der Kommunikation, der Hilfe von Kommunikationsmitteln, basierend auf den Ergebnissen der Markt- und Meinungsforschung und den Resultaten unterschiedlicher Analyse-Tools. Diese Informationen als Legitimation verstehend, tobt sich ein Kreativer mehr oder weniger erfolgreich aus. Idealerweise bedeutet das, dass er sich gleichermaßen in Marke und Zielgruppe einfühlt, die Wertewelt beider erfasst und mit einer kreativen und möglichst unterhaltsamen Idee im crossmedialen Umfeld verbindet.
Werthaltung beim Medieneinsatz:

Mit Kanonen auf Spatzen war gestern

Mediaagenturen haben Probleme, sich den geänderten Umweltbedingungen anzupassen. Sie müssen aus ihren methodischen Gefängnissen ausbrechen: Es wird nicht reichen, die Da-nehmen-wir-die-große-Kelle-Mentalität aus Kostengründen gegen eine Da-nehmen-wir-halt-eine-kleinere-Kelle-Mentalität zu tauschen. Die Ein-Weg-Lösungen mit Sackgassencharakter werden effizienten Informations- und Kommunikationsnetzwerklösungen und deren logischen Verknüpfungen weichen. Die Komplexität dieser Strukturen macht die Mediaplanung im selben Maß schwieriger, aber auch reizvoller. Alle, auch Mediaplaner, werden sich also verstärkt mit Strategien auseinandersetzen, die Initiierungspotenzial besitzen. Nicht mehr die beste Platzierung in einer Zeitschrift oder auf einem Sendeplatz wird über den Erfolg einer Kampagne entscheiden, sondern die Kreation und der beste Platz in Initialmedien, wie in Social Networks oder auf Bedienfeldern von Mobiltelefonen.
An dieser Stelle werden neue Planungstools und Strategien entwickelt werden müssen. Das ist aufwendig, da es noch kaum verwertbare Daten gibt, geschweige denn Instrumente, um diese zu erheben. Die Demografie muss für die virtuelle Welt des Internets neu erschlossen werden. Dazu muss auf kommunikationswissenschaftlicher, psychologischer und soziologischer Ebene untersucht werden, ob und wie sich das Wertebild des Users in der jeweiligen Erlebniswelt verändert und wie sich diese Veränderung auf sein Kommunikationsverhalten auswirkt.
Ist jemand, während er sich in einem der sozialen Netzwerke aufhält, wirklich noch dieselbe Persönlichkeit mit demselben Wertebild und denselben Verhaltensweisen wie in der realen Welt? Das bedeutet, dass sich Milieustudien auch auf Daten aus Erlebniswelten stützen und auf die Wertebilder innerhalb dieser Welten beziehen müssen. Interessant wird dann die persönliche Vernetzungsmatrix, also das crossmediale Verhalten und das persönliche Informationsportfolio der Konsumenten. Künftig wird es wahrscheinlich neben den Zielgruppen so etwas wie Mediagruppen geben. Der POS wird zum N(et)OS. Viel Grundlagenarbeit ist hier noch zu leisten. Auch ist beispielsweise nicht gelöst, wie Mediaagenturen sich selbst verbreitende Kampagnen verrechnen könnten.

Die Aufgabe der Zukunft für die Medien

Die Medienmacher werden sich künftig mehr Gedanken machen, in welchen Bereichen sie zur Initiierung von Kommunikation und Informationsvernetzung fähig sind. Die logischen Verlinkungen von Informationskanälen und Geräten und das Initiierungspotenzial von Medien zur Verbreitung von Informationen in der gewünschten Zielgruppe entscheiden künftig über die Attraktivität von Medien für Mediaplaner und -strategen. Die große Aufgabe der Zukunft für die Medien wird sein, sich weiter zu vernetzen, diese Vernetzungen weiter zu strukturieren und anwenderfreundlicher zu machen. Auch das Fernsehen wird als Initialmedium dann attraktiv, wenn die Verknüpfung mit dem Internet vollzogen ist.
Die Werbetreibenden und Mediaplaner werden lernen, dass die Qualität und Originalität der Werbung künftig die Reichweite bestimmen werden und nicht mehr nur der geliebte Tausender-Kontakt-Preis. Damit erhält vor allem das Empfehlungsmarketing eine zentrale Bedeutung. Neue Formen der One-to-One-Kommunikation verweisen die Massenkommunikation auf ihren Platz: Sie fungiert immer mehr als Initiator, der Aufmerksamkeit erzeugt und versucht, die One-to-One-Kommunikation in eine Richtung zu lenken mit dem strategischen Ziel, den Konsumenten als Werbeträger und Informationsverbreiter – als Botschafter der Marke – zu gewinnen und zu steuern. Die Unberechenbarkeit der neuen Kommunkationsstrukturen wird aber auch in Zukunft den konventionellen Einsatz massenkommunikativer Werbemedien erfordern. „Never change a winning team“, denn so ein Konsument als Informationskanal ist nicht ganz so einfach zu handhaben wie die klassischen Medien. Da kann man nicht mehr einfach die U4 buchen, bezahlen und ab geht die Luzi.

Fazit: Strategisches Lean Management

Die wichtigste und offensichtlichste Änderung ist, dass der Anspruch an Kommunikation und deren kreative Aufbereitung um eine wesentliche Komponente erweitert wird: Nur Kommunikation, die initial ist, also sofort Aufmerksamkeit und Interesse weckt, informativ und unterhaltsam ist, entwickelt zukünftig eine ausreichende Verbreitungsdynamik. Zudem muss sie vernetzt, also derart gestaltet sein, dass sie durch den Konsumenten crossmedial genutzt und optimalerweise mitverbreitet wird. Andere Versuche werden schon im Ansatz stecken bleiben. Die Selektion im Netz ist gnadenlos, und der Rückenwind aus der Mediaecke lässt merklich nach. Die wirklich Kreativen werden sich freuen. Sie haben jetzt die Chance, sich auszutoben und zu beweisen. Hier gilt es, neue Grenzen auszutesten. Kampagnen sind gefordert, die zur Initiierung von Kommunikation fähig sind, die das Markenbild hell leuchten lassen – Kommunikation, die Marken im Wettbewerbsumfeld klar identifizierbar macht und die vielschichtig Handlungsimpulse setzt.
Die Zauberworte heißen virales Marketing, Netzwerkmarketing, Empfehlungsmarketing und Initialkommunikation. Nach den Initialmedien sind Social Networks, also die zur Verbreitung instrumentalisierten Konsumenten selbst, die Werbeträger der Zukunft. Endlich eine Waffe, die sich selbst abfeuert, sobald sie getroffen wird – mehrfach. Schon heute sind mehr als eine dreiviertel Milliarde kommunikationswilliger Menschen in solchen Netzwerken organisiert, mit stark steigender Tendenz. Die Verbreitung der dort jeweils als relevant empfundenen, positiven wie negativen Informationen ist enorm. Die Möglichkeiten, sich zu positionieren, sind es ebenfalls – positiv wie negativ. Es gibt keine Reichweitengrenzen und -beschränkungen. Es gibt keine Anzeigenschlusstermine und fast endlose Multiplikationsmöglichkeiten. Der Wettkampf der Informationen um die Aufmerk­samkeit wird – und das ist neu – in Netzwerken nicht mehr ausschließlich durch mediale Gewalt und künstlich erzeugte Medienpräsenz, sondern durch selbstbestimmte Konsumenten entschieden.


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